Schlagwort: Naturheilpraktiker

Interview mit Antonius Conte von NaturKraftWerke

Text & Interview: Petra Müller, Geschäftsleitung FOOD MOVEMENT
Foto: Camille Pivac


Irgendwann letztes Jahr habe ich aus Neugier mit Antonius Conte Kontakt aufgenommen. Ich kannte die Produkte seiner Firma NaturKraftWerke schon lange, zu der Zeit war ich grad wild auf seinen Löwenzahnwurzel- und Chicorée Kaffee. Durch meine Tätigkeiten mit FOOD MOVEMENT und Freakfood wollte ich den Mann hinter dieser Firma und dem leckeren Kaffee endlich mal kennenlernen.

Schon nach wenigen Minuten unseeres Telefongespräches merkte ich: Das wird spannend. Antonius ist ein alter Hase, was spezielle, biologische Nahrungsmittel und den Handel mit Lebensmitteln angeht. Er machte schon „Superfoods“, als es den Begriff noch gar nicht gab. Schon 1979 hat er sich ohne tierische Produkte ernährt – ziemlich ungewöhnlich!

Aber ich möchte hier lieber Antonius das Wort übergeben. Klar ist, dass wir sicher weiterhin in Kontakt bleiben werden, und das nicht bloss, weil er FOOD MOVEMENT mit seiner Firma als Mitglied unterstützt.

Und jetzt wünschen wir viel Vergnügen und – wer weiss, vielleicht sogar neue Einsichten – mit diesem spannenden Interview.

Lieber Antonius, vor vielen Jahren hast du eine Ausbildung zum Heilpraktiker absolviert. Was hat dich damals dazu bewogen, diesen Weg einzuschlagen?
1979 beschloss ich von heute auf morgen, keine tierischen Produkte mehr zu konsumieren. Ich war damals von Zen Buddhismus fasziniert und wollte spirituell vorwärtskommen. Dabei entdeckte ich ganz nebenbei die medizinische Kraft der Lebensmittel. Wobei ich ja nicht körperlich krank, sondern von kulturellen Motiven bewegt war. Aber ich hatte seit Jahren Angst, Existenzangst, Platzangst, Panik, anfallsartig und chronisch. Kurz nach der Ernährungsumstellung war dieser ganze Spuk weg. 1982 landete ich nach einem Trip über Amerika in Berlin und blieb dort 15 Jahre. Am Ende dieser Zeit, nach viel Trial and Error, Irrungen und Wirrungen, machte ich da den deutschen Heilpraktiker. Für mich war es eine Antwort auf das ermüdende Grossstadtleben und eine Rückbesinnung auf die anfänglichen Erfahrungen mit Ernährung.

Was hat sich seit deiner Ausbildung in Sachen Ernährung verändert, und wo stehst du in Sachen Ernährung, Gesundheit und Wohlbefinden heute?
Ich fahre einen kontroversen und paradoxen Kurs. Nach über 25 Jahren veganer und vegetarischer Ernährung bin ich heute genussorientierter und kreativer Flexitarier mit reduziertem Anteil tierischer Produkte und wenig bis null Zucker. Manchmal esse ich tagelang vegan. Aber ich probiere gerne alles Mögliche aus. Essen ist auch Kulturgeschichte und das fasziniert mich.

Ich habe Phasen und Epochen, wo etwas in den Vordergrund kommt und dann wieder verschwindet. Es ist wie eine Entdeckungsreise, unterhaltsam und unbeschwert mit wundersamen Offenbarungen, aber auch Ernüchterungen und Enttäuschungen. Orientiert bin ich durch Instinkt in Kombination mit Wissen und Vorlieben. Wenn ich in einen grossen Laden gehe, weiss ich gleich, was ich will und was nicht. Manchmal werde ich auch zu etwas verführt und mache eine Dummheit. Wichtig ist mir, mich frei zu fühlen, ohne Diktat einer Ernährungslehre oder eines Glaubens über Richtig und Falsch oder dass am Ende als Lohn Gesundheit, gar Erlösung und ewiges Leben winkt.

Meine Ausbildung hat in erster Linie das Staunen vergrössert über unser Leben. Und es waren vor allem die Naturwissenschaften und die Medizingeschichte, die mich inspirierten. Ich bin dadurch von Schwurbel und Leichtgläubigkeit freigekommen, denen man leider in naturheilkundlich orientierten Szenen oft begegnet. Essenziell ist für mich, mich von etwas Lebendigem zu ernähren. Zum Beispiel kann ein tierisches Produkt sehr lebendig sein und ein veganes Produkt sehr tot. Ich vermeide starre oder religionsartige Konzepte und ich vermeide schluckfertige Nahrung.

Kennst du Menschen, bei denen dank spezifischer Ernährung eine Linderung erreicht werden konnte?
Ich habe 10 Jahre als Heilpraktiker praktiziert. Mein Ziel war immer, nach einer symptomorientierten Behandlung, die den Krankheitsdruck abmildern sollte, mit Ernährung an die Basis zu kommen. Das ist zu etwa 50 % gelungen, d. h. viele Klienten konnten ihre Gesundheit neu aufbauen und erhalten. Aber zu 50 % hat es nicht geklappt. Ernährung ist intimer als Sex. Da lassen sich viele einfach nicht ein. Und Gewohnheiten zu ändern oder Süchte zu überwinden ist die eigentliche Krux. Wenn man das schafft, muss man auch nicht zum Arzt, auch nicht zum Heilpraktiker. Souveränität und volle Selbstverantwortung ist das Ziel und ich glaube der wichtigste Teil unserer Gesundheit. Gesundheit ist nicht konsumierbar, sie setzt Kreativität voraus.

Gibt es deiner Ansicht nach spezifische Ernährungs-„Regeln“, die du als besonders wichtig und/oder wirksam empfindest?
Abwechslung, Vielfalt, Bio, frisch, jahreszeitengerecht, selbergemacht, keine Massen- und Convenienceprodukte, nicht knabbern/snacken, nicht zu viel essen, langsam essen, geniessen, auf die Verdauung achten und alles, was nicht funktioniert, weglassen.

Für mich gibt es 5 Punkte: Durchblutung/Gefässe, Knochen/ Bewegungsapparat, Entzündungen, Stimmung/Psyche, Gedächtnis. Wenn da etwas nicht stimmt, sollte man aktiv werden. Diese Regelkreise erreicht man alle mit Ernährung. Natürlich gibt es noch viel mehr, aber diese 5 Themen erscheinen mir als wirkmächtig, fast alles andere folgt daraus. Ich würde übrigens ni,e jemandem sagen mach das oder dies. Gesundheit hat auch etwas mit Bildung und – wie gesagt – Kreativität zu tun. Man muss selber Bücher lesen, aber nicht nur oberflächliche Ratgeberliteratur, mit denen viele Verlage einen Haufen Geld verdienen, sondern möglichst Originalliteratur. Man muss sich in einer gewissen Tiefe auseinandersetzen und dadurch selber Herr der Lage sein. Es ist wichtig, sich kontrovers zu informieren und den Stoff selber zu sortieren und eine eigene Kompetenz aufzubauen. Nicht einfach etwas glauben!

Was auch unterschätzt wird: Hypochondrie ist eine dauernde Selbsthypnose. Lieber dem Körper vertrauen! Nicht ständig über Gesundheit nachdenken. Gesundheit ist wie Geld, gib es aus und es kommt zurück. Gesundheit sollte nicht gespart, sondern für etwas eingesetzt werden.

Hast du persönlich positive Erfahrungen mit einer bestimmten Ernährungsweise gemacht?
Mit Makrobiotik habe ich sehr befreiende Erfahrungen gemacht, wegen der Reduziertheit, obwohl das System paternalistisch und kulturell überheblich ist. Ayurveda mag ich auch. In der traditionellen italienischen Küche sind ebenso viele Schätze versteckt. Damit meine ich nicht die weltweite Ultradominanz von Pizza und Pasta. Aber über Parmesan könnte man sich schon mal Gedanken machen oder über die italienische Gemüseküche oder die herrlichen Kräuter wie Thymian, Oregano, Basilikum, Salbei, Rosmarin, die in vielen Gerichten vorkommen. Ich habe vor ein paar Jahren die Weltküche (www.weltkueche.bio) gegründet. Die Idee dahinter ist, die genialen und bewährten Praktiken verschiedener Landes- und Volksküchen wertschätzend zu kombinieren. Die Weltküche ist eine charmante Opposition gegen Kampf und Krieg der Kulturen, Religionen, Ideologien. Ich lebe von der Idee, dass sich eines Tages alle Menschen und alle Lebensarten auf gleicher Augenhöhe begegnen und viele Menschen öfters mal was zusammen kochen.

Welche sonstigen Faktoren, abgesehen von der Ernährung, erachtest du als wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden?
Herausfinden, was man wirklich will und es tun.

Du hast bereits 1996 die Firma NaturKraftWerke gegründet. Was war damals deine Vision, und wie sieht sie heute aus?
Durch das Do-it-your-self Prinzip für Haus und Bau, das Mitte der 70iger Jahre aufkam, schwebte mir schon lange eine Art Do-it-your-self -Konzept für die Gesundheit und Körperpflege, eine moderne Art von Hausapotheke, vor. Ein Sortiment an Basisprodukten, mit denen man effektiv Einfluss nehmen kann auf das Wohlbefinden. Unser erster Claim war etwas mit «Volksgesundheit» und «Ethnomedizin». Ich wollte einen Bausatz kreieren mit hilfreichen Mitteln aus aller Welt. Da bekam ich aber schnell Ärger mit den Behörden. Alternative Pharmazie hat mich lange fasziniert, aber es wurde mir rechtlich zu kompliziert und ich wollte nicht subversiv arbeiten. Ich ruderte zurück auf Lebensmittel. Lebensmittel haben ein pharmazeutisches Potenzial. Man darf bei uns nur keine Werbung darüber machen.

Was möchtest du FOOD MOVEMENT auf den Weg mitgeben?
Unsere Geschichte nicht vergessen: Christen ermordeten mehr Christen als seinerzeit die Römer oder später die Osmanen. Das Bedürfnis zu einer überlegenen Elite zu gehören, kann man am Calvinismus ablesen. Es macht mich traurig und enttäuscht, dass viele Menschen immer noch so konditioniert sind und meinen, dass sie etwas Besseres sind, wenn sie sich in ein vielversprechendes Regelkonzept einordnen. Das ist wohl eine Art negatives mentales Erbe. Bei Calvin war es vorbestimmt, ob man zu den Erwählten oder den Verworfenen gehört. Dementsprechend haben sich viele Menschen verhalten und erzeugten die entsprechenden äusserlichen Anzeichen, dazu gehörte Reichtum und Wohlstand. Nach dem Soziologen Max Weber soll das eine der wesentlichen Grundlagen des Kapitalismus und des Gewinnstrebens sein. Wenn Leute heutzutage predigen und glauben, dass Rohkost, Paläo, Keto, Veganismus oder weiss was das einzig Wahre ist, kommen mir die Glaubenskonflikte der Vergangenheit in den Sinn. Der Toleranzerlass, bzw. die Religionsfreiheit wurde zuerst in England realisiert, weil sich dort die evangelikalen Sekten dauernd die Köpfe einschlugen. Bei der Weltküche laden wir bewusst alle Ernährungsstile ein und stiften Pluralismus und Toleranz.

Verrätst du uns noch dein Lieblingsessen?
Das ist jetzt sentimental und keine Gesundheitsempfehlung, obwohl dieses Essen in gewisser Weise psychoaktiv ist und damit Wohlbefinden erzeugen kann. Ich hatte eine italienische Grossmutter, meine geliebte Nonna. Momentan ist mein Lieblingsessen eine klassische, gut gemachte Bolognese mit Spaghetti.

Ganz herzlichen Dank für dieses Interview, lieber Antonius!