Interview mit Prof. Dr. med. Peter E. Ballmer

Text, Foto Buchcover & Interview: Petra Müller

Das heutige Interview mit Prof. Dr. med. Peter E. Ballmer ist ein Highlight für Food Movement.
Dr. Ballmer ist ein veritabler Komplize, denn er setzt sich leidenschaftlich ein für kluge Ernährung zur Gesundheitsförderung und Prophylaxe.

Dr. Ballmer ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Kantonsspital Winterthur, ebenda Direktor des Departementes Medizin und Facharzt für Innere Medizin und Intensivmedizin FMH. Zudem ist er Mitglied bei der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin, der Gesellschaft für Klinische Ernährung Schweiz, der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism, der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich sowie der Bezirke Winterthur und Andelfingen, der Vereinigung der Zürcher Internisten sowie des Vereins der leitenden Spitalärzte der Schweiz. Bis Ende 2014 war Dr. Ballmer war ausserdem Mitglied der Eidgenössischen Ernährungskommission.

Wir sind sehr glücklich und fühlen uns geehrt, dass Dr. Ballmer sich die Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten. Ganz herzlichen Dank, Herr Ballmer!

Dr. med. Peter Ballmer

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Lieber Herr Ballmer, was gab den Anstoss, dass Sie sich mit den gesundheitlichen Folgen unserer Ernährung auseinandersetzen?
Bereits während meiner Zeit als Assistenzarzt hat mich die Ernährung als lebensnotweniger und in der Erwachsenenmedizin sträflich vernachlässigter Bereich fasziniert. Dabei ging es um Prävention von Herzkreislaufkrankheiten und später vor allem um die Mangel- bzw. Unterernährung, speziell der Patienten im Krankenhaus.

Meine Lehrer haben mein Interesse sehr unterstützt, und so wurde ich allmählich zu einem „Ernährungsfreak“.

Meine Lehrer haben mein Interesse sehr unterstützt, und so wurde ich allmählich zu einem „Ernährungsfreak“. Am Inselspital habe ich mich dann anfänglich vor allem mit den Gesundheitseffekten der Ernährung zur Verhinderung und Verlangsamung der Arteriosklerose auseinandergesetzt und bin dann ganz folgerichtig auf die Mediterrane Ernährung gestossen, welche sehr wirksam ist – viel wirksamer als manches Medikament – zur primären und sekundären Prävention von Herzkreislauferkrankungen, insbesondere der koronaren Herzkrankheit, aber auch des Schlaganfalls.

Am Kantonsspital Winterthur haben wir dann in den späten Neunzigerjahren als praktisch erste Klinik im deutschsprachigen Raum die Mediterrane Ernährung als Sekundärprävention nach Herzinfarkt eingeführt. Aufgrund einer Studie von Michel de Lorgeril aus Lyon wurde klar, dass das Einhalten einer Mediterranen Ernährung nicht nur sehr lustvoll, sondern auch sehr wirksam zur Verhinderung eines zweiten Herzinfarkts ist.

Ein sehr wichtiges Thema wurde dann mehr und mehr die Mangelernährung des Spitalpatienten. Wir haben in einer grossen Studie gezeigt, dass beinahe 20 Prozent aller Patienten, die hospitalisiert werden, an einer Mangelernährung leiden oder ein grosses Risiko aufweisen, bald mangelernährt zu werden. An diesem Problem arbeiten mein Chefarztkollege, Herr Dr. R. Imoberdorf, unsere leitende Ernährungstherapeutin, Frau M. Rühlin und ich mit unseren Teams intensiv, denn Mangelernährung führt zu mehr Komplikationen, einer schlechteren Lebensqualität und sogar zu einer höheren Sterblichkeit beim Spitalpatient.

Sie haben die Mediterrane Ernährung im Kantonsspital Winterthur als erstes Spital der Schweiz oder gar des deutschsprachigen Raums als Sekundärprophylaxe eingeführt. Was entgegnen Sie Arzt-KollegInnen, die Ernährung zur Linderung von Krankheiten oder als Gesundheitsförderung negieren oder als nicht signifikant bezeichnen?
Leider ist die Sensibilisierung von Ärztinnen, Ärzten und Pflegefachpersonen in Spital für Ernährungsfragen immer noch rudimentär. Wir versuchen durch Fort- und Weiterbildungen, Vortrags- und Kongresstätigkeiten und im beruflichen Alltag mit eindrucksvollen Daten aus vielen wissenschaftlichen Arbeiten die Wichtigkeit der Ernährung zu lehren. Auch sind wir selbst wissenschaftlich aktiv und untersuchen z. B. den Effekt von Ernährungssupport und körperlicher Aktivität auf die Lebensqualität von Krebspatienten.

Sie sind spezialisiert auf die Mediterrane Ernährung. Was sind die gängigen Trugschlüsse dieser Ernährungsweise?
Wir befassen uns intensiv seit Jahren mit der Mediterranen Ernährung und bieten diese, wie erwähnt, unseren Patienten als Sekundärprävention nach einem Herzinfarkt an. Auch haben wir ein Kochbuch zusammen mit der Herzstiftung über die Mediterrane Ernährung veröffentlicht (Kochen für das Herz – nach mediterraner Art). Typische Trugschlüsse sind:
—  Mediterrane Ernährung ist reich an Fisch (stimmt so sicher nicht).
—  Nur das Olivenöl macht die Mediterrane Ernährung aus.
—  Die Italienische Küche entspricht Mediterraner Ernährung u.s.f.

Was sind die Besonderheiten der Mediterranen Ernährung?
De facto handelt es sich um die Ernährungsweise der Anrainer des Mittelmeers, typischerweise in den 50-er bis 60-er Jahren. Es ist eine Ernährung, welche reich an grünen Gemüsen, Früchten, wenig Fleisch, komplexen Kohlehydraten und speziell günstigen Fetten und Oelen, sprich Oliven- und Rapsöl ist.

Bei Ihrem Vortrag am Collegium Generale an der Universität Bern erklären Sie, dass 50 % der täglichen Kalorien durch Fette gedeckt werden sollen. Das können sich viele Menschen nach den Jahren mit Light-Produkten kaum vorstellen. Wie sehen Mahlzeiten mit so viel Fett idealerweise aus? Können Sie uns je ein Beispiel von Frühstück, Mittag- und Abendessen aufzeigen?
Da verweise ich gern auf das erwähnte Kochbuch. Es würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, ins Detail zu gehen. Eine richtige, korrekte Mediterrane präventive Ernährung muss mit einer diplomierten professionellen Ernährungsberaterin erarbeitet werden. Der Boom der Light-Produkte ist meines Erachtens schon lange vorbei, denn es liessen sich keine wirklichen Gesundheitseffekte mit diesen Produkten erzielen.

Welche Fette empfehlen Sie, und von welchen Fetten raten Sie ab?
Keine Frage: Oliven- und Rapsöl sind die optimalen Fettträger. Wenig Butter ist bei uns erlaubt. Sonnenblumenöl ist unserer Meinung „out“, da es viel Linolsäure enthält, welche die Entzündung und die Gerinnselbildung fördern kann, zwei Mechanismen, welche die Arteriosklerose und den Herzinfarkt begünstigen können. Andere Oele und Fett empfehlen wir nicht, ausser für die starke Erhitzung, z. B. für das Anbraten von Fleisch, sog. „High Oleic Oele“ bzw. HOLL-Oele.

Bei welchen Krankheiten kann man von einer mediterranen Ernährung profitieren?
Letztlich bei allen Krankheiten, welche mit einer Entzündung einhergehen. Vordringlich zu nennen sind Herzkreislauferkrankungen, insbesondere die koronare Herzkrankheit und der Hirnschlag infolge einer Durchblutungsstörung. Es gibt aber auch Hinweise, dass Mediterrane Ernährung eine günstige Wirkung gegen Krebserkrankungen, Parkinson und neuerdings die Entwicklung einer Demenz hat.

Was rate ich in Bezug auf die Ernährung einem Onkel, der einen Herzinfarkt hatte, oder einer Bekannten, die an Krebs erkrankt ist?
Wie ich bereits mehrfach erwähnt habe, sind dies klassische Lebenssituationen, welche geradezu nach Mediterraner Ernährung rufen. Wichtig ist zu betonen, dass gerade beim Herzinfarkt die früheren schrecklichen, lebensqualitätseinschränkenden Diäten (z. B. der Amerikanischen Herzgesellschaft) hiermit definitiv verlassen werden müssen, zu Gunsten der lustvollen und bekömmlichen Mediterranen Ernährung!

Welche sonstigen Faktoren, abgesehen von der Ernährung, erachten Sie als wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden?
Ernährung und regelmässige körperliche Aktivität sind das A und O für ein gesundes und schönes Leben. Mit körperlicher Aktivität meine ich nicht „Sport“, sondern das tägliche sich Bewegen für mindestens eine halbe Stunde, am besten ergänzt durch drei kleine Trainingseinheiten mit z. B. Schwimmen oder etwas Laufen etc. Auch die Stärkung der Muskulatur durch ein mildes regelmässiges Krafttraining ist sehr wichtig und bremst den natürlich auftretenden Verlust an Muskulatur im Alter!

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Das im Interview erwähnte Kochbuch „Kochen für das Herz“ kann bei der Schweizerischen Herzstiftung bezogen werden. Das Buch ist ein Gemeinschaftswerk von Dr. Ballmer, der Ernähungsberaterin Erica Bänziger und Maya Rühlin, Leiterin der Ernährungsberatung am Kantonsspital Winterthur.

Das Kochbuch ist aufgeteilt in einen medizinischen Teil sowie Ernährungskunde und in einen Rezeptteil mit Ideen zu Frühstück, Suppen, Vorspeisen, Snacks, Salaten, vegetarische Mahlzeiten und Beilagen, Fisch- und Fleischrezepte und Desserts.

Aussergewöhnlich und interessant sind die Angaben pro Rezept für nicht bloss Kalorien, sondern auch Fett (aufgeteilt in die verschiedenen Fettsäuren), Kohlenhydrate, Eiweiss, Nahrungsfasern und Natrium.

Wichtig zu wissen: Mediterrane Ernährung darf nicht mit „italienischer Küche“ gleichgesetzt werden, denn die Charakteristika der klassischen mediterranen Ernährung werden heute auch in den meisten Regionen Italiens nicht erfüllt.

Die wichtigsten Punkte der mediterranen Ernährungsweise lauten:
– wenig gesättigte Fettsäuren (Fleisch, Kokos- und Palmfett)
– reichlich einfach ungesättigte Fettsäuren (Olivenöl, Rapsöl)
– relativ viel Alpha-Linolensäure (Vorstufe der Fischöle)
– reichlich Früchte, Gemüse und Salat
– reichlich Antioxidantien aus Früchten, Gemüsen und Kräutern
– reichtlich Getreideprodukte wie Brot, Teigwaren, Reis
– wenig Fleisch, gelegentlich Fisch

Die Rezepte sind leicht nachzukochen und abwechslungsreich. Man findet Leckereien wie eine Kastaniencremesuppe mit Gemüsewürfelchen, Randensuppe mit Meerrettich und Zwiebelsprossen, Avocado-Bruschetta mit Rucola, Bunter Couscous-Salat mit Feta, Grünkohl-Risotto, Zarte Lauchpuffer mit Hirseflocken, Penne mit Frischlachs und Rucola, Kalbsfilet mit Pilzen, Ananassalat mit Kiwi und Pistazien oder Schoko-Marroni-Mousse mit Quark.

Ein Rezept möchten wir gerne vorstellen: Gemüsepuffer mit Pilzragout

Gemüsepuffer

Rezept Gemüsepuffer

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