Text: Petra Müller, Gründerin FOOD MOVEMENT
Foto: Katharina Lütscher
Ich hätte nie gedacht, dass dieses dünne Büchlein meine Wahrnehmung so stark verändern würde: one moment meditation von Martin Boroson. Meistens notiere ich zuvorderst in einem Buch, wann ich es gekauft habe. Bei diesem Buch hätte ich mich verschätzt – ich hatte es schon länger, als ich geschätzt hätte. Es steht: Oktober 2013.
Seit über vier Jahren praktiziere ich also bereits die 1-Minuten-Meditation. Sie ist mir ein liebgewonnenes Ritual geworden. Und sie hat mich grundlegend verändert. Sie hat mich von einem sehr ungeduldigen Menschen in einen fast schon geduldigen und oft gelassenen Menschen verwandelt. Tag für Tag, ohne dass es mir richtig bewusst war.
Habt ihr euch auch schon mal vorgestellt, zu den Menschen zu gehören, die täglich 20 oder gar 30 Minuten meditieren? Ich war so jemand. Aus Studien weiss man, dass Meditation unsere Stimmung verbessern und Anspannungen lindern kann, dass sie den Blutdruck senkt und das Immunsystem stärkt. Wer will das nicht?
Ich habe das aber nicht geschafft bisher. Ich lebe seit sieben Jahren mit wandernden Schmerzen und seit fünf Jahren mit der Diagnose rheumatoide Arthritis. Mein Linderungsprogramm ist dicht: Antientzündliche Ernährung zubereiten (= zum Teil ein Zeitfresser, da ich praktisch nicht auswärts essen kann und immer alles zuhause vorbereiten muss), verschiedene Medikamente einnehmen (seit 2016 nur noch natürliche), möglichst täglich 30 Minuten Bewegung und Entspannungsübungen. Und dann noch 20 Minuten meditieren? Auch wenn ich dafür «einfach» etwas früher aufstehen könnte – ich schaffe es nicht.
Aber eine 1-Minuten-Meditation schaffe ich, oft sogar mehrmals täglich. Und diese einminütigen Pausen machen einen himmelweiten Unterschied. Ich habe die Übungen aus dem Buch genau so erlebt, wie Boroson sie beschreibt: Oft fokussieren wir darauf, friedlich (peaceful) zu WERDEN, anstatt friedlich zu SEIN. Er sagt, das sei, als ob man einen Ball vor sich herwerfen würde, um ihn anschliessend fangen zu wollen (und uns darüber zu beklagen, dass wir den Ball nie haben).
Ich habe durch dieses Buch gelernt, Momente im Leben aufmerksam wahrzunehmen, Momente zu geniessen und zu schätzen – denn im Moment steckt ein enormes Potential. In einem Moment können wichtige Dinge geschehen, gute wie schlechte: Ein Brief trifft ein, eine Freundin ruft an, eine Lawine stürzt ins Tal, ein Problem wird gelöst, man wird geküsst.
Meine Wahrnehmung hat sich grundlegend verändert. Es gelingt mir inzwischen oft, auch schwierige Momente anzunehmen, ohne sie zu bewerten. Ich bin sogar überzeugt, dass meine Resilienz dank dieser Wahrnehmung gestärkt wurde in den letzten Jahren. Die 1-Minuten-Meditation hat mich gelehrt, in kürzester Zeit zu mir zurückzufinden. Das Schöne ist, dass ich mich immer dabei habe. Die 1-Minuten-Meditation ist für mich ein Rettungsanker, ein Reset-Knopf, ein Auftanken und Refreshen zugeich.
Das zeigt sich so bei mir: Langes Warten in der Post? Kein Ärger mehr. Falsche Schlange in der Migros erwischt? Egal. Zug verpasst? Jänu. Etwas vergessen? Kein Weltuntergang. Einen Fehler gemacht? Erst recht kein Weltuntergang. Es ist wirklich so. Früher wurde ich fast ohnmächtig, wenn mir (oder jemand anderem!) ein Patzer passiert ist, inzwischen bin ich oft unglaublich gelassen mit mir und meinen Mitmenschen. Natürlich gelingt mir das nicht ganz immer, aber das unangenehme Gefühl bei einem Fehler/etwas Vergessen/Unerwartetem hat sich drastisch verringert. Und das fühlt sich sehr angenehm an.
Wie geht das denn nun mit dieser 1-Minuten-Meditation?
Man beginnt mit einer Basis-Minute. Man suche sich einen ruhigen Ort, wo man ungestört ist. Dort setze man sich hin (auf einen Stuhl, auf ein Kissen, auf den Boden – was einem am liebsten ist). Man sitzt aufrecht, mit entspannten Beinen und setze einen Alarm auf 1 Minute. Man lege die Hände entspannt z. B. auf die Oberschenkel und schliesse die Augen. Nun konzentriere man sich auf den Atem – und macht das, bis die Minute um ist.
Wenn man dies einige Tage geübt hat, kann man die Minute um ein «Warm Up» davor ergänzen: sich strecken, gähnen, hüpfen, die Hände waschen, eine Kerze anzünden – egal (ich strecke mich oder bewundere mein Geschirr, denn ich meditiere in der Küche). Und wenn man das einige Tage geübt hat, kann ein «Cool Down» hinzugefügt werden, wenn die Minute fertig ist: mit den Zehen wackeln, aus dem Fenster schauen, sich fragen: «War das angenehm?» (ich schaue aus dem Fenster und betrachte den Garten vis-à-vis).
Und dann kann man die Atemzüge zählen, die man während 1 Minute atmet. Nachdem man ungefähr weiss, wieviele tiefe Atemzüge eine Minute dauert, kann man sich vom Alarm befreien. Und dann kann man damit beginnen, die 1-Minuten-Meditation irgendwo zu machen, nicht bloss zuhause. Im Zug, beim Anstehen auf der Post, unter der Dusche, in der Bibliothek, oder im Bett vor dem Einschlafen.
Sobald man den Alarm nicht mehr braucht und bloss Atemzüge zu zählen braucht für eine Minute, kann man sie auch in verschiedenen Notfallsituationen einsetzen. Bei Panik, Frust, Ärger, Druck, Verwirrung oder Schock. Wenn immer die Situation es zulässt, dass man nicht sofort reagieren muss, kann man eine 1-Minuten-Meditation machen. Und wenn man sie wirklich regelmässig täglich macht, einmal oder mehrmals, dann fühlt man sich sofort «zuhause» in diesem Ritual, selbst in schwierigen Situationen.
Was Boroson erklärt und ich tatsächlich erlebe: Die 1-Minuten-Meditation geht mit positiven Nebeneffekten einher. Man erlebt Glück und Mitgefühl, manchmal ziemlich unerwartet. Irgendwann fühlte ich mich mehr verbunden mit mir wildfremden Menschen, ich spüre, dass wir überhaupt alle miteinander verbunden sind (auch mit Tieren und Pflanzen und allen Lebewesen). Ich stelle fest, dass ich nicht mehr so schnell urteile und mehr Verständnis aufbringe. Die 1-Minuten-Meditation macht mich friedlicher.
Es ist auch gut möglich, dass euer Umfeld merkt, dass ihr euch verändert habt, ruhiger seid, gelassener, friedlicher, geduldiger.
Man kann diese einminütige Meditation natürlich einfach mal so ausprobieren. Ich kann die Lektüre des Büchleins jedoch sehr empfehlen. Martin Boroson schreibt schön, lustig, poetisch und eloquent, es wäre schade, sich seine Gedanken entgehen zu lassen. Das Buch ist im englischen Original, aber auch auf Deutsch erhältlich.
Hier ein paar meiner Lieblingsstellen – allerdings auf Englisch, da ich es in der englischen Ausgabe besitze:
«The Basic Minute is not just about stopping doing, it’s about stopping youing.»
«If you practice the Minute regularly, you might find yourself thinking more positively and liking yourself more. You might find that you are indeed getting what you want – or at least liking what you have.»
«In fact, the Basic Minute isn’t anything at all. It’s just nothing. Just one whole minute of nothing. That’s why it’s such a relief».