Graziella Bättig: Multiple Sklerose

Text: Graziella Bättig
Foto: Marco Sieber [Fotografie]

Es war ein angenehmer Dezembertag im Jahr 2011. Ich hatte soeben von drei besorgt schauenden Ärzten erfahren, dass ich chronisch krank bin. Ich hatte die Bilder gesehen, auf denen mein Hirn deutliche Schäden aufweist. Mein Körper hat mich selbst angegriffen. Multiple Sklerose. Ich war gefasst, von Natur aus eine realistische Optimistin. Mir war vom ersten Moment an bewusst, dass ich etwas ändern muss. Dass ich es in die Hand nehmen kann. Es meine eigene Verantwortung ist. Intuitiv habe ich die Medikation abgelehnt.

Zuerst wollte ich in Erfahrung bringen, was in meinem Körper bei dieser Erkrankung passiert. Man weiss bis heute nicht, warum das Immunsystem den eigenen Körper angreift und die Schutzschicht der Nerven zerstört. Genau so wenig weiss man, warum der Körper diese Schutzschicht (Myelinschicht) manchmal nach einem Schub wieder reproduziert und manchmal nicht. Für mich zu viel Ungewissheit, um in meinen Körper ein Medikament einzuschleichen, von dem man auf Grund der ungeklärten Ursache auch nicht 100% sagen kann, warum das Medikament wirkt und warum eben manchmal auch nicht. Ich brauchte Fakten.

Vom ersten Moment an war mir klar, dass mir mein Körper eigentlich schon längst Zeichen gegeben hatte, dass etwas nicht mehr im Gleichgewicht war. Verdauungsprobleme, Hautausschlag, Unausgeglichenheit und innere Unruhe waren im Nachhinein klare Vorboten meines Körpers.

Ich hatte nicht hingehört. Hatte meinen Körper übersteuert.

Ich hatte nicht hingehört. Hatte meinen Körper übersteuert. Ich musste und wollte funktionieren. Erfolgreich, unabhängig, cool, sportlich und „dabei“ sein. Teilnehmen am Leben bis am Limit. Ein Limit, das mein Kopf vorgegeben hat. Ein Limit, das für meinen Körper schon längst zu viel war. Ich hatte ihm nicht zu gehört. Nun zwingt er mich.

Nach reiflicher und zeitintensiver Auseinandersetzung mit der Erkrankung hatte ich ein paar einleuchtende Gedankengänge. In meinem Körper war ziemlich viel „Gift“ – Aluminium*, Emulgatoren,  Zusatzstoffe und Genussgifte. Wenn ich mir vorstellte, dass unser Körper ein hochsensibles Ökosystem ist. Ein kleiner Mikrokosmus, genau wie unsere Welt im Grossen und unser Universum im Riesigen. Was nun in meinem Körper passiert ist, kann ich wohl in grösserer Form auf unserer Erde mitverfolgen. Das System gerät aus dem Gleichgewicht. An einigen, verhältnismässig kleinen Stellen, wird etwas verschmutzt (Wasser, Luft, Boden, Blut, Haut, Lunge, Darm), wenn man dieses Gebiet für sich selbst ansieht, scheint das für das grosse Ganze kein Problem zu sein.

Doch wie in mir hängt auch auf der Erde alles zusammen, und das Ungleichgewicht muss nicht da spürbar werden, wo die Verschmutzung stattfindet.  Die Folge ist, dass sich das Ökosystem anfängt zu wehren, es versucht sogar Stellen „loszuwerden“, um das grosse Ganze am Leben zu erhalten. Egal ob unsere Erde oder unser Körper – das System funktioniert in dieser Hinsicht identisch. Mir wurde mit diesem Gedankengang bewusst, dass ich zwar schon ein gutes Körpergefühlt trainiert hatte, aber ihm nicht die Priorität zugewiesen hatte, die es verdient hat und die nötig ist, um gesund zu sein: Die höchste Priorität.

Ein weiterer sehr einleuchtender Moment war, als ich mir die Frage gestellt hatte, aus was denn so ein Körper Zellen herstellt. Das tut er ja auch im gesunden Zustand ständig. Zum Verständnis: Die Haut erneuert sich alle 26 bis 28 Tage, die Darmschleimhaut alle 2 bis 5 Tage – der Körper baut zwischen zehn und 50 Millionen (!) Zellen pro Sekunde ab und ersetzt sie. Wenn denn das Gleichgewicht stimmt und er alles hat, was er dazu braucht. Fehlt ihm über längere Zeit eine wichtige Komponente, ist die neue Zelle nicht mehr von gleicher Qualität wie die alte oder eben von besserer.

Logischerweise folgte für mich dann die Frage, aus was der Körper Zellen bildet. Luft, Licht und Makromoleküle – unser Körper braucht also Lebensmittel, um neue Zellen zu bilden bzw. deren Inhaltsstoffe.

In diesem Augenblick war mir einiges klar, und ich musste mich einfach dem Thema Ernährung verschreiben.

In diesem Augenblick war mir einiges klar, und ich musste mich einfach dem Thema Ernährung verschreiben. Nach den vielen Nächten, in denen ich mich mit dem Kern meiner Erkrankung auseinandergesetzt hatte, folgten weitere viele Nächte und ein zweijähriges Studium zur ganzheitlichen Ernährungsberaterin.

Ich habe für mich den Schlüssel in der Ernährung und im Umgang mit mir selbst gefunden. Heute verzichte ich weitgehend auf „vergiftete“ Nahrungsmittel, nehme proportional viele entzündungshemmende Lebensmittel zu mir und gönne mir für meinen Seelenfrieden auch kleine „Sünden“ in Form von feuchtfröhlich durchtanzten Nächten mit meinen Freunden. Für mich bedeutet Eigenverantwortung, mir selbst gut zu schauen, mich selbst zu lieben und mein Leben nach meiner Wahrheit zu führen. Ich habe mich, genau wie Charlie Chaplin in seiner Rede zu seinem 70igsten Geburtstag sagt, von allem getrennt was mir nicht gut tut. Von Menschen, Dingen und Ernährungsgewohnheiten u.v.m.

Meine Multiple Sklerose steht nun seit fast fünf Jahren still.

Meine Multiple Sklerose steht nun seit fast fünf Jahren still. Keine neue Läsionen, und zum Teil haben sich alte zurückgebildet. Heute sage ich, dass mir die Diagnose mehr gegeben hat, als dass mir die Krankheit nehmen kann. Sie hat mich gelehrt, dankbar zu sein, jeden Tag. Dankbar dafür, dass mein Körper funktioniert – dass ich greifen, sehen, schmecken, fühlen kann. Dankbar dafür, dass ich die besten Freunde habe, die man sich während einer solchen Prüfung wünschen kann, aber auch dankbar dafür, dass mein Weg funktioniert. Und sie hat in mir die Leidenschaft zum Thema Ernährung geweckt….

Selbstheilung hat in meinen Augen viel mit der Bereitschaft zu tun, seine Gewohnheiten zu ändern. Diese Bereitschaft ist der erste Schritt zu einem gesunden, tiefgründig und intensiven Leben. Heute unterstütze ich Menschen, die diese Bereitschaft mit sich bringen, mit meinem Wissen, meiner Energie und meiner Hartnäckigkeit auf ihrem persönlichen Selbstheilungsweg. Die Schritte auf diesem Weg kann ich niemandem abnehmen, die Kraft und Selbstliebe dazu muss jeder Mensch für sich selbst finden (wollen).

Graziella Bättig
www.speiseplan.ch

*Als Teenager habe ich mal übermässig geschwitzt. Immer. Egal bei welcher Temperatur. Die Lösung meines Apothekers war dazumal pures Aluminiumchlorid. Das habe ich mir dann brav ein gutes Jahr angewendet. In Kombination mit den „alltäglichen“ Aluminiumlieferanten war das, im nachhinein betrachtet, definitiv zuviel.